Rushhour des Lebens– nicht nur für Führungskräfte

Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus der Sicht eines Personalberaters.

Selbstvertrauen und Zufriedenheit

ln unserer Paar-zentrierten Gesellschaft machen Arbeit und Beziehung Glück und Zufriedenheit der Menschen aus, wenn sie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Führungskräfte müssen Spitzenleistungen in zwei Welten erbringen, deren Regeln konträr auseinander liegen. Das Spannungsfeld der Doppelbelastung durch Beruf und Familie wächst von Tag zu Tag. Als Ergänzung der formalen Konzepte, die Staat und Unternehmen zur Bewältigung der Konfliktsituation zwischen Beruf und Familie heute anbieten, soll hier auf einen Lösungsansatz hingewiesen werden, der auf dem Salutogenese-Konzept von A. Antonowsky aufbaut. Antonowsky geht davon aus, dass gesunde Menschen über eine geistigseelische Globalorientierung verfügen, die er als Kohärenzgefühl (SOC) bezeichnet hat. Es drückt aus, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, ausdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass Konflikte in die man hineingestellt ist, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind und einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen zu begegnen. Dieses Salutogenese-Konzept lässt sich auch auf Führungskräfte übertragen.

Ko-evolution

Selbstachtung, Identität und Selbstwahrung sind wichtige Widerstandsressourcen. Bei einer gelingenden Vereinbarung von Familie und Beruf geht es zusätzlich um einen Ko-evolutionsprozess, der einen Weg durch zahlreiche Bewältigungsszenarien darstellt. Dabei haben es die jeweiligen Personen mit verschiedenen, aber interdependenten Entwicklungssystemen zu tun, die – wenn der Prozess gelingt – zu einer dauernden Balance der Handhabung unterschiedlicher Beziehungssysteme führen können. Ziel sind dabei familiengerechte Arbeitsverhältnisse nicht arbeitsgerechte Familien. Ko-evolution bezeichnet in unserem Zusammenhang die gegenseitige Beeinflussung der persönlichen Entwicklung von Partnern die zusammenleben. Die Ehepartner müssen nach individuellen Lösungen suchen, müssen miteinander aushandeln – und zwar immer wieder neu – wie sie die Zwänge oder Ambitionen der Versorgungssicherheit, der Karriere und des Berufs mit ihren partnerschaftlichen und familiären Wünschen und Vorstellungen vereinbaren können. Emotionale Bindungen, Gefühl und Liebe sind die zentralen Ressourcen zur Konfliktbewältigung. Eine nicht weniger wichtige Bewältigungsressource, die Familie und Beruf betrifft, sind emotionale Intelligenz und Kompetenz. Die Verbindung von Verstehen und Handhaben erhöht das Kohärenzgefühl, steigert die Konfliktfähigkeit und die Konfliktlösungsmöglichkeit. Der Prozess der gegenseitigen Beeinflussung ist ein Unterstützen, Begrenzen und Herausfordern.

Auf der Suche nach neuen Wegen der Vereinbarkeit

Im Zuge der zunehmenden Flexibilisierung und der steigenden Mobilitätsanforderungen kommt es heute mehr und mehr zur Abkehr von Normalarbeitsverhältnissen und zur Gestaltung neuer Lebensentwürfe, zu lebensphasenorientierten Vereinbarungskarrieren, die zu Patchwork-Biografien führen. Wer sich aber gegen diesen wachsenden Einfluss gesellschaftlicher Entwicklungen auf die Familie abgrenzen will, wird sich auf die Suche nach eigenen Bewältigungsstrategien in Beruf und Familie machen.

Partnerschaftliche Führung und dienende Führung

Die Führungskräfteentwicklung als Persönlichkeitsentwicklung führt uns dabei zu partnerschaftlicher Führung in der Familie einerseits und zu einem zentralen Lösungsansatz für Konflikte in der Berufswelt, der dienenden Führung andererseits. Es geht um die Frage: Was kann ich für andere tun, damit sie sich persönlich weiterentwickeln und die gemeinschaftlichen Ziele erfolgreich realisieren können? Das Konzept der dienenden Führung, wie es von Robert Greensleaf 1970 entwickelt wurde, folgt einer ganzheitlichen Betrachtung der Qualitäten von Mensch, Arbeit und Gemeinschaftssinn und setzt ein spirituelles Verständnis von ldentität, Mission, Vision und Umwelt voraus. Mit dieser Haltung befinden wir uns genau in dem individuellen Handlungskorridor, um einerseits Konflikte als Führungskraft im Beruf, andererseits als Ehepartner in der Familie handhaben und die Konflikte zwischen beiden Lebensbereichen bewältigen zu können. Dienende Führung im Beruf ist ein Schlüssel, die Spannung zwischen Karriere und Familie zu verringern. Mehrere Wege zu diesem Ziel erscheinen als gangbar, wenn wir partnerschaftliche Führung auf die Berufswelt und dienende Führung auf die Familie beziehen, das heißt beide Bewältigungsszenarien mit einander verschränken. Partnerschaftliche Führung im Beruf und dienende Führung in der Familie finden ihre Deckung in dem, was sich auch als Dienstbarkeit beschreiben ließe. Ko-evolution von Beruf und Familie kann dann gelingen, wenn die Menschen in beiden Lebenssphären selbstverantwortlich integer führen.

Walter Schmidt